Die grosse transformation
Entrepreneurship Summit 9. - 11. Oktober 2020
„Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“ So schrieb Goethe über die Kanonade von Valmy am 20. September 1792. Die große Transformation zwischen 1770 und 1850, die von Königreichen zu Nationalstaaten führte, von Feudalismus zu Kapitalismus, von Manufaktur zu Industrie, kristallisierte sich für Goethe in diesem einen festen Punkt.
Heute befinden wir uns wieder in einer solch großen Transformation. Von Überfluss zu Nachhaltigkeit, von Profitgier zu Sinnstiftung, von Industriegesellschaft zu Digitalisierung. Wir erkennen, dass alles im Fluss ist, und suchen einen festen Punkt, an dem uns das Neue sichtbar wird. Aber unsere Chancen darauf stehen schlecht. Mitten im Umbruch ist es zwar leicht zu erkennen, dass etwas vom Alten bricht. Aber praktisch unmöglich zu sehen, welchen Weg das Neue nehmen wird.
Wir müssen unsere Sicht- und Denkweise radikal ändern, sagt Maja Göpel, die Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der deutschen Regierung: „Unsere heutige Welt unterscheidet sich fundamental von der Welt vor zweihundertfünfzig Jahren, als die industrielle Revolution begann. Und doch suchen wir heute vorwiegend mit der damaligen Sichtweise auf die Welt nach Lösungen. Wir haben vergessen, unsere Denkmuster auf ihre Tauglichkeit für die Gegenwart zu prüfen.“
Im Bereich der Ökonomie (und nur um diesen Bereich soll es hier gehen) hat uns die industrielle Denkweise in eine fünffach perverse Situation geführt:
- In der Güterproduktion werden um jeden Preis die Kosten gedrückt. Unmenschliche und gefährliche Arbeitsbedingungen, Raubbau an Mensch und Natur und immer wiederkehrende Skandale um Produktfälschung und Betrug sind die Folge.
- Um immer mehr Güter verkaufen zu können, müssen die Unternehmen immer mehr Geld für Marketing ausgeben. Weil alle das tun, steigen die Verkaufsanstrengungen überproportional. Die eigentlichen Herstellungskosten betragen heute meist nur noch einen Bruchteil des Endpreises, oft nicht einmal ein Zehntel davon.
- Die Spirale wachsender Marketingausgaben und die Fixierung auf Gewinnmaximierung entfernt uns immer weiter von dem, was in der Geschichte der Ökonomie ihre eigentliche Bestimmung war: mit begrenzten Ressourcen sparsam hauszuhalten.
- Wo Gewinnmaximierung an erster Stelle steht, wird alles andere zweit- und drittrangig. Auch wenn die PR-Abteilungen der Unternehmen bemüht sind, ein anderes Bild zu zeichnen. Die Werte, auf denen der Zusammenhalt einer Gesellschaft beruht, geraten damit zunehmend unter die Räder.
- Der rücksichtslose Umgang mit Ressourcen hat dramatische Folgen für das Ökosystem und bedroht unsere Lebensgrundlagen. Selbst bei einem sofortigen Umsteuern in Richtung nachhaltigen Wirtschaftens wäre der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten, allenfalls zu begrenzen. Aber noch kann von einem solchen Umsteuern keine Rede sein.
Hören wir noch einmal Maja Göpel: „Unsere Denkmuster zu hinterfragen macht den Blick auf die Hebel frei, mit denen wir aus der Krise in die Zukunftsgestaltung im 21. Jahrhundert kommen.“
Der wichtigste dieser Hebel sind: wir selbst. Denn der Weg ist in einer Großen Transformation nicht vorbestimmt – er wird durch diejenigen bestimmt, die ihn gehen.
- Durch diejenigen, die den Weg als Kunden gehen. Die ihre Geldscheine als Stimmzettel für eine bessere Welt verwenden. Die ihre eigenen Bedürfnisse formulieren, sich nicht vom Marketing einfangen lassen. Die Transparenz einfordern, kein raffiniertes Branding.
- Durch diejenigen, die den Weg als Aktivisten gehen. Die sich für eine gute Sache einsetzen, die in der Nachbarschaft, in ihrer Gemeinde, lokal und global aktiv werden. Die etwas unternehmen.
- Durch diejenigen, die den Weg als Entrepreneure gehen. Sie sind es, die das Neue in den Blick nehmen können, ohne auf das Alte Rücksicht nehmen zu müssen. Sie sind es, die überhaupt erst die Alternativen schaffen, sinnlich wahrnehmbar, mit denen wir alle für eine bessere Welt aktiv werden können.
Die Ökonomie der Großen Transformation räumt mit den Perversionen der alten Ökonomie auf.
- Sie spart nicht an der Produktion, sondern setzt auf höhere Qualität, längere Haltbarkeit, weniger schädliche Produktionsprozesse, bessere Bedingungen für die Beschäftigten (Arbeitsschutzmaßnahmen, faire Vergütung).
- Sie vermeidet die Kosten der Kundengewinnung. Weil sie den Menschen, seine Bedürfnisse und seine Werte in den Mittelpunkt stellt, statt mit wachsenden Verkaufsanstrengungen Umsatz und Gewinn zu maximieren.
- Sie schafft weitestmögliche Transparenz bei den Inhaltsstoffen der Produkte und bei den Kostenblöcken, und sie ermöglicht die Rückverfolgbarkeit der Prozesse.
- Sie macht Schluss mit dem Verschwendungs-Kapitalismus, und installiert statt dessen eine Lean Economics, eine schlanke Ökonomie, die in Einklang mit den Ressourcen des Ökosystems und des Planeten steht.
Von dieser Ökonomie der Großen Transformation kann eine neue Epoche der Weltgeschichte ausgehen. Und wir können sagen, wir seien dabei gewesen.